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537 – Die gut genutzte Zeit

19. April 2020

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  • Körper

Liebe Frauen,

der Frühling ist da, die Ostereier gesucht und gefunden, und wir hocken immer noch nur zuhause rum.

Aber das macht nichts, denn wir haben ja sehr viel gelernt in den letzten Wochen der Isolation. Nicht nur, dass Hollywood-Pandemie-und-Seuchen-Filme keine Ahnung haben, sondern auch, dass wir eben nicht nur rumsitzen und unsere Eier und/oder -stöcke kraulen sollten.

Wir leben in einer durchoptimierten Gesellschaft, und das lassen wir uns nicht von so einem dahergehusteten Virus nehmen, wär doch gelacht. Wir nutzen unsere Zeit.

Entrümpeln und entsorgen

Ach, was waren wir doch alle gestresst, jeden Tag, Job und Einkaufen und ab und zu mal sauber machen und Kinder, richtig, die gab’s ja auch noch, die mussten was essen, ab und zu mal, und erzogen werden, eieiei. Keine Zeit für die wirklich schönen Dinge des Lebens.

Aber dann kam Corona und wir wurden gezwungen, daheim zu bleiben. Die meisten jedenfalls. Den anderen haben wir schön brav vom Balkon aus zugeklatscht. Wir hatten ja auch sonst nichts mehr zu tun. Wir hatten Zeit. Also konnten wir die Zeit nutzen. Wir konnten endlich mal all das machen, was schon längst hätte gemacht werden müssen.

Fangen wir mal mit dem Entrümpeln an. Ist ja Frühjahr, da passt das doch gut. Keller räumen, Dachboden auch, Schränke nach ungenutzten Kleidern durchforsten, Abstellkammer neu ordnen, Kühlschrank sortieren, Tiefkühler enteisen, hurra. Und dann sitzen wir da auf einem Haufen Zeug, das in den Sonder- und Sperrmüll müsste, und wir stellen fest, dass die Mistplätze alle zu haben. Na gut, aber die Müllabfuhr funktioniert noch immer, dafür haben wir ja mit unserem allabendlichen Klatschen gesorgt, also schmeißen wir eben die ganzen rinnenden Batterien und Sparlampen und ratternden Pürierstäbe und so weiter in den Restmüll. Weg ist weg.

Das macht ja auch den Kopf frei.

Neue Ideen

Der Kopf muss frei sein, wenn wir nun mit neuem Elan alles andere angehen. Neue Ideen fürs Leben generieren. Wir sind ja alle so kreativ zuhause. Wir schreiben Gedichte und filmen uns beim Aufsagen und posten sie auf Facebook und Instagram. Wir packen die Farben aus der untersten Schublade und malen und erkennen, dass es genau das ist, was uns immer schon gefehlt hat, um unseren innersten Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Wir lernen die TikTok-Tänze der Kinder und finden das sehr lustig, weil es so zu unserem derzeitigen Gefühl der zeitgleichen Überlastung und Unterforderung passt. Wir machen bei jeder neuen Challenge mit und denken uns ganz besonders lustige Sprüche zu den alten Kindheitserinnerungen aus, oder ganz besonders tiefsinnige zu den Fotos von wichtigen Frauen, die die Welt verändert haben, die uns aber bis jetzt einfach nur am Arsch vorbeigegangen sind. Aber wir haben uns ja verändert. Wir haben zu uns selbst gefunden. Da wir auf uns selbst zurückgeworfen waren.

Wir sind in uns gegangen und haben unseren inneren Darth Vader getroffen und haben ihm den Kopf abgeschlagen und sind als Neugeborene aus uns herausgewachsen. Wir sind uns auf einmal all dessen bewusst, was das Leben doch im Grunde ausmacht, worauf es wirklich ankommt, ja, wir haben erkannt, dass unsere Berufung darin besteht, aus Wollresten kleine Kuschelviren zu häkeln, die wir den armen Flüchtlingskindern auf Lesbos schicken.

Und dann Sport. Ja, Sport ist wichtig. Körperertüchtigung. Wenn wir schon den ganzen faulen Tag lang auf der faulen Haut auf dem faulen Sofa rumliegen, dann sollten wir doch wenigstens dafür sorgen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Schluss mit faul, ab heute wird gejoggt. Ich kann ja an all den anderen erleuchteten Joggern in angemessenem Abstand vorbeijoggen. Und Liegestütze mach ich auch. Und ich werde ganz sicher vegan, sobald ich alle gehorteten Tiefkühlpizzas aufgegessen habe.

Steuer muss ich machen. Habe ich die Wohnung schon geputzt? Egal, nochmal. Und Bücher lesen, herrgott ja, Bücher, Dostojewski und wie heißt der andere Russe? Harry Potter, richtig, da habe ich für ein paar Tage. Sex, ja, Sex, ich muss endlich mal wieder ficken, wir müssen endlich mal wieder ficken, der Alltag lässt uns dazu ja keine Zeit, nie kommen wir dazu und am Wochenende sind wir müde und ausgelaugt, aber jetzt, ja, jetzt, jetzt geht es los, in der Badewanne und am Balkon, damit unsere Nachbarn uns zuklatschen können, und im Wohnzimmer und im Bett, meinetwegen, und am Sofa, weil wir ja da nicht so faul rumliegen sollen und ständig und überall all das nachholen, was wir in all den Jahren unserer Ehe ausgelassen haben und malen, hatte ich schon malen?, wir malen uns gegenseitig, während wir miteinander pimpern, und meine Netflix-Liste wird länger und länger, aber jetzt habe ich ja Zeit, ich habe Zeit für all das, deswegen nutze ich die Zeit, ich muss meine Zeit nutzen, gut nutzen, sinnvoll nutzen, ich darf nur ja nicht auch nur eine Sekunde ungenutzt verstreichen lassen, wann ist Corona endlich wieder vorbei, damit ich ganz normal arbeiten und den ganzen Scheiß wie gewohnt verschieben und vergessen und mich wieder entspannen kann?

Euer Adam

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